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Kennst du eigentlich den Koalitionsvertrag aus Berlin? Das Schriftstück mit dem die CDU und SPD die Zusammenarbeit vereinbart haben und in dem alles niedergeschrieben ist. Das hier keine politische Beratung oder Satire werden. Vielmehr möchte ich einen bestimmten Punkt daraus entnehmen und zur Diskussion stellen: Digitalisierung! Ja, dieser Punkt hat es als eigenständiges Kapitel in die Vereinbarung geschafft. Und als Zeichen des guten Willens gibt es die 175 Seite Koalitionsvertrag auch als PDF hier zur Einsicht. Ganze 11 Seiten sind dem Thema gewidmet, was ich grundsätzlich sehr begrüße. Du vermutest an der Stelle richtig, wenn du einen leisen, aber hörbaren kritischen Unterton vernimmst.

Wie digital sind wir eigentlich in unserem Land?

Ich möchte an der Stelle nicht die deutsche Geschichte aufrollen. Die kennt jeder von uns spätestens seit dem Geschichtsunterricht in der Schule. Sehr wohl glaube ich aber, dass wir als Land und als Unternehmer in den vergangenen Jahren einige schwerwiegende Fehler gemacht haben. Dazu möchte ich die Erkenntnisse aus dem Koalitionsvertrag zitieren, die eingangs des Digitalisierungskapitels beschrieben werden:

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„Die Digitalisierung bietet große Chancen für unser Land und seine Menschen. Chancen für Wohlstand und sozialen Fortschritt. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder daran teilhaben kann. Angesichts der Dynamik der Veränderung müssen wir große Schritte wagen, um an die Spitze zu kommen. Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln.“

Viele, was hier beschrieben ist, erachte ich als grundlegend richtig. Dennoch glaube ich das die Formulierung, so politisch geprägt sie sein mag, nicht das widerspiegelt, was in der Realität vorherrscht. Die Digitalisierung ist aus meiner Sicht kein Trend, der „große Chancen“ bietet – es ist ein Mega-Trend, der unsere Lebensbedingungen nachhaltig beeinflussen wird für die kommenden 50-200 Jahre. „Große Schritte“ zu wagen ist hier genau der richtige Ansatz, wenngleich ich persönlich der Meinung bin, dass Deutschland bei der Digitalisierung schon große Schritte hinter her ist.

Die gravierenden vier Fehler Deutschlands

Ich möchte niemals Zweifel darauf aufkommen lassen, dass wir als Land nicht genug zu tun hätten. Als zentrales Land in Europa, sowohl geographisch als auch wirtschaftlich, sehen wir uns mit einer Reihe Herausforderungen konfrontiert, die mit Sicherheit nicht im Handumdrehen zu lösen sind. Doch ich glaube auch, dass wir mit der Digitalisierung gerade etwas verpassen. Etwas, dass uns bei der Bewältigung unserer aktuellen und zukünftigen Herausforderungen massiv helfen könnte. Auch etwas, das unsere Position in Europa und der Welt nachhaltig stützen und ausbauen könnte. Stattdessen tendieren wir dazu das Thema zu „zerreden“ und mit Auflagen, Verordnungen, Gesetzen und jahrelang tagenden Fachausschüssen zu verhindern.

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Semih Aridogan, ein Treiber der digitalen Szene und Experte auf dem Gebiet, hat vergangene Woche zu dem Thema eine hervorragende Kolumne im Handelsblatt Global veröffentlicht. Der Titel ist vielsagend und beängstigend zugleich: „Why German companies fail at digital innovationman-companies-fail-in-digital-innovation-901367“. Ich möchte an dieser Stelle sehr gerne Bezug auf diesen Artikel nehmen und mit meinen eigenen Worten und Erfahrungen ausbauen. Die vier Fehler Deutschlands entspringen als Semih’s großartigem Gedankengut.

#1 Wir müssen härter, flexibler und schneller entscheiden können

Elon Musk, Steve Job oder auch Donald Trump (als Unternehmer) sind Typen, die in der Lage waren Entscheidungen zu treffen und diese durchzusetzen. Auch wir Deutschen haben solche Unternehmer in unseren Geschichtsbüchern stehen, aber nur die wenigsten von ihnen leiten heute noch große Unternehmen. Unsere Management-Ebene ist geprägt vom Shareholder-Value, von Aufsichtsräten und einer pyramidenförmigen Struktur. Speziell an der Struktur ist erst einmal nichts auszusetzen. Statt aber den unteren Ebenen Verantwortung zu übertragen, werden Entscheidungen ständig über die gesamte Führungsleiter herbeigeführt. Uns wird Bürokratismus nachgesagt und genau das können wir auch. Zweifelsfrei ist das auch notwendig in einem Land, das knapp über 80 Millionen Menschen verwaltet. Wenn es jedoch darum geht Dinge zu wagen und die Zukunft zu erkunden, ist unser Bürokratismus einfach nur hinderlich.

Ist ein innovatives Thema einmal wirklich Tagespunkt auf der Agenda deutscher Unternehmer, ist die Innovation oftmals schon Alltag und es hat nichts Neuartiges mehr. Durch diese Art und Weise laufen wir in den Unternehmen ständig hinter her und sind nur selten in der Lage einen Vorsprung zu erlangen. Semih beschreibt es in seinem Artikel wundervoll präzise:

„Innovative ideas stand almost no chance in this culture. An employee shouldn’t need explicit approval to experiment and to innovate; innovation implies at least some creative spontaneity and autonomy.”

Frei übersetzt: Innovation hat in dieser (Unternehmens)Kultur keine Chance. Kein Mitarbeiter sollte eine gesonderte Freigabe erteilt bekommen um innovativ sein dürfen zu dürfen. Innovation bedingt von vorne herein kreative Spontanität und autonome Entscheidungsgewalt.

Oliver Kahn würde an der Stelle (zugegeben, zweckentfremdet zitiert) sagen: „Eier. Wir brauchen Eier!“. Ich meinte damit vor allem unsere unternehmerischen Eier. In einer Unternehmenskultur voller Angst vor Fehlern und dem gegenseitigen Zuschieben von Misserfolgen grenzt es an Selbstmord sich des Themas Digitalisierung anzunehmen. Wer soll es denn aber sonst umsetzen, wenn nicht wir Unternehmer? Unsere neue und alte Bundesregierung hat nicht als Aufgabe die Unternehmen digital zu machen. Sie ist lediglich dafür zuständig die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

2 Neue Technologien der Digitalisierung erfordern neue Tools

Wer einmal auf Streifzug durch die deutsche Bürolandschaft geht, findet dort vor allem Excel-, Word- und PowerPoint-Anwendungen. Nichts gegen diese Tools, aber ist das digital? Sind das wirklich die Werkzeuge mit denen wir die Digitalisierung bestreiten wollen? Evernote, Todoist, Trello, Meistertask, Say&Go, Asana – Fehlanzeige. Und das war nur ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten. Aber was hindert uns daran diese Tools großflächig zu verwenden?

Vor allem ein Sichtwort fällt hierzu ein: Datenschutz! Die Verordnungen hierzulande sind zweifelsfrei mit die striktesten der Welt. Bei Verstößen dagegen gibt es saftige Strafen und der Schutz der Daten steht überall an oberster Stelle. So sollten sich jahrelang die Betreiber WLAN-Netzwerken dafür verantwortlich zeichnen, wenn Fremde über ihr angebotenes Netzwerk Schindluder trieben. Ist Estland ist der freie Internetzugang ein Grundrecht und es gibt in ganz Tallinn keinen Fleck, wo es kein öffentlich zugängliches WLAN gibt. Wir fangen damit gerade erst an!

Ich möchte an der Stelle betonen, dass der Datenschutz unglaublich wichtig. Auch ich möchte nicht, dass mit meinen Daten irgendwo auf dieser Welt etwas gemacht wird, was ich nicht möchte. Dennoch muss ich an der Stelle gleichermaßen festhalten, dass die hiesigen Vorschriften und Verordnungen derart strikt sind, das eine flexiblere Entwicklung unmöglich gemacht wird. Der Appell geht an dieser Stelle aus dem Artikel heraus an die Politik, die hier für Rahmenbedingungen sorgen muss, in denen ein Fortschritt möglich ist.

“German office workers send or receive 122 emails from the average company email account every day. If you assume a 9-to-5 shift, that’s one incoming or outgoing mail every four minutes. And we Germans write these in the most perfect and formal way possible. We don’t say, “Thanks, Bob, I’m on it.” We say, “Most honored Prof. Dr. Schmidt, herewith we inform you…"

Ein anderer Punkt, der gleichermaßen die Tools und unsere Umgangsweise miteinander beeinflusst, ist die deutsche Höflichkeit. Ich werde gerne in Mails mit meinem vollen Namen genannt. Vermutlich würde ich es auch befremdlich finden, wenn mich meine Bank mit André anspricht oder nur mit einem einfach „Hallo“. An diesem Punkt stimme ich Semih voll und ganz zu, denn ich glaube das wir hier mehr Mut zur Effizienz haben müssen. Gleichzeitig bedeutet das auch, dass wir weniger Angst vor fehlender Höflichkeit haben müssen. Wenn Enrico mir einmal „Guten Morgen André“ schreibt find ich das höflich genug für den Tag. In den restlichen 10-30 Nachrichten kann er direkt ohne Grußformel loslegen. So spart man viel Zeit. Vor allem wir höflichen, ineffizienten Deutschen könnten hier noch einiges besser machen.

Also, zusammengefasst: Wir müssen endlich zeitgerechte „State-of-the-Art“-Tools einsetzen. Digitale Anwendungen, die ortsunabhängig und multiuserfähig sind. Dazu brauchen wir dringend die gesetzlichen Rahmenbedingungen, damit wir diese verwenden dürfen. Und am Ende müssen wir endlich lernen uns kurz zu fassen und mehr den Fokus auf das TUN zu legen. Während wir noch auf dem digitalen Standstreifen stehen und diskutieren, woher der Stau kam, rauschen alle anderen an uns vorbei.

#3 Möglichkeiten in der Digitalisierung schaffen und fördern

Wenn unsere Regierung vor einigen Jahren beim Thema Internet von sogenanntem „Neuland“ spricht und jedes Jahr auf ein Neues auf den Computermessen von Trends spricht, versteht man sehr schnell wo wir stehen. Es gibt Dinge, die kann man halt besonders gut. Und dann gibt es auch wieder Dinge, die einem weniger passen. Deutschland ist in unglaublich vielen Dingen gut. Bei der Digitalisierung jedoch sind wir ein Entwicklungsland. Selbst asiatische Länder wie Singapur, Thailand oder Vietnam sind bei der Verfügbarkeit von Breitband-Internet um Welten weiter als wir.

In Europa belegen wir den 28. Platz im Breitband-Ranking

Eine Aufgabe der neuen Regierung ist es das Projekt Ausbau des Breitband-Internet weiter voran zu treiben. Das war eigentlich schon vorher ein Projekt. Leider wurde das komplett verfehlt und wir sind nach wie vor in der dritten Internet-Welt unterwegs. Bestimmt ist das nicht einfach umzusetzen und vermutlich würde ich daran auch scheitern, aber wie um alles in der Welt sollen wir digital werden, wenn uns die Mittel dazu fehlen? Das mutet ein wenig an wie Don Quichote mit seinem Holzschwert an der Windmühle.

Die maßgebliche Aufgabe unserer Politik muss es sein, so schnell wie irgendwie möglich das Breitband-Internet auszubauen. Wie sonst soll der Wirtschaftsstandort Deutschland mit all seinen innovativen Ideen und Möglichkeiten zum Wachstum beitragen? Wir schaffen es zwar eine Autobahn nach Pusemuckel zu bauen, aber sorry, hier surfen sie nur mit 56k. Dein Ernst? Deutsche Technik und unser Verständnis dafür ist nach wie vor weltweit führend, aber würde bei uns der nächste Bill Gates, Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Daniel Düsentrieb in seiner Garage sitzen, wäre er zu Arbeitslosigkeit verdammt, da er kein Internet hat. Natürlich nicht digital, sondern er muss sich ein Papierticket für die Öffentlichen ziehen um damit zum Amt zu fahren. Ist das wirklich unser Verständnis einer Wirtschaftsweltmacht?

#4 Der Nachwuchs ist jede Investition wert

Spätestens seit der PISA-Studie vor mehr als 10 Jahren wissen wir, dass unser Bildungssystem einige Lücken hat. Die neuere Auflage dieser Studie zeigen zwar eine Verbesserung, aber wir sind nirgends dort, wo wir uns selbst sehen möchten. Vom Schlusslicht ins Mittelfeld, aber wir sind nicht Champions League. Das ist doch aber unser Anspruch, oder?

In meinen Augen besteht hier ein Paradoxon. Wir wissen, dass wir den Herausforderungen nicht gewachsen sind. Ferner beschweren wir uns über den Fachkräftemangel und darüber, dass wir nicht ausreichend Arbeitskräfte aus dem Ausland abwerben können. Gleichzeitig sehen wir über die PISA-Studie und Konsorten, dass unser Bildungssystem maximal ausreichend ist.

Henne, Ei, Katze, Schwanz – wie viele Brückenpfeiler müssen uns denn noch zu winken?

Wer digitaler Europameister werden will, muss massiv investieren. Und zwar muss er nicht in die Abwrackung von Diesel-Fahrzeugen investieren, sondern in neuartige Technologien. Wie sollen wir zukünftige Arbeitskräfte für digitale Berufe in unseren Schulen und Universitäten ausbilden, wenn dort weder gelehrt wird was Digitalisierung ist noch wie damit umzugehen ist? Wo sind die Unterrichts-Einheiten zum Umgang mit einem Cloud-Server? Wo ist der Evernote-Grundkurs? Und wieso können wir am Kaffeeautomaten noch nicht mit Kryptowährungen bezahlen?

Semih beschreibt in seiner Kolumne, dass wir Deutschen jährlich zusätzlich 3 Milliarden Euro in die Technologie unseres Bildungssystems investieren müssten um mit der Entwicklungsgeschwindigkeit mithalten zu können. Es ist sowohl unsere politische Aufgabe unseren Nachwuchs mit dem Thema vertraut zu machen als auch die der Unternehmen. Je mehr wir durch Gesetze und Verordnungen verhindern, desto weniger Interesse wird daran bekundet werden. Damit will ich nicht den Datenschutz attackieren – ich bin froh ihn zu haben und ich werde ihn immer wahren. Sehr wohl sollte aber das Argument „Geht nicht wegen Datenschutz“ aus unserem (digitalen) Wörterbuch gestrichen werden.

“And we should relax about adopting new tools. Not all new software is as much of a risk to our privacy as we fear. And when it is, there are usually practical work-arounds.”

Wie Semih richtig beschreibt gibt es für alles und jeden immer einen Workaround. Und wenn dieser noch nicht erfunden ist, so sollte es doch die Aufgabe unserer Mitarbeiter und Absolventen sein hier eine Lösung zu finden. Lasst uns durch „Probieren studieren“. Es gibt keinen anderen Weg als diesen. Statt zu diskutieren, wie wir los legen, sollten wir einfach die Reise wagen. Natürlich gibt es Hindernisse und sowohl politisch als auch unternehmerisch werden wir auf die Nase fallen. Solange wir hier Rahmenbedingungen haben, die dies zulassen und ermöglichen wird unsere Lernkurve auch exponentiell ansteigen. Das Thema „Digitalisierung“ allerdings in den nächsten Fachausschuss zu geben und die fünfundneunzigste Abhandlungen über die Gefahren und Risiken schreiben zu lassen, bringt weder uns als Einwohner dieses wundervollen Landes noch als Unternehmer dieser starken Wirtschaft weiter.

Wo sind die Elons, Marks und Donalds der Start-Up Szene? Wenn wir weiter zuschauen, wie unsere „Guten“ ins Ausland abgeworben werden und wir nicht in der Lage sind unseren eigenen Nachwuchs zu qualifizieren, wird es spätestens dann dunkel bei uns, wenn die EU digital unterwegs ist und unsere Abgesandten Papieranträge einreichen wollen. Aber wollen wir wirklich das Entwicklungstempo der EU als Maßstab nehmen? Oder wollen wir nicht viel lieber der Treiber in der EU sein, wie bei einigen anderen Themen auch?

Oder wie Semih schrieb:

„These days, innovation is not optional. The digital revolution will happen — with or without German participation. I would rather we participated.“

Shoutout an Semih und mehr zur Person

An der Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei Semih Aridogan für seine Kolumne bedanken. Wie gesagt basiert mein Beitrag hier auf seinen exzellenten Ausführungen und soll eine Erweiterung in das Thema des papierlosen Büros darstellen. Hier und da habe ich sicherlich auch ein wenig eigene Meinung eingebracht, die ich dank der freien Meinungsäußerung in diesem Land sagen darf – ein weiterer großer Vorteil unseres Landes. Um nichts auf dieser Welt möchte ich hier weg oder Deutschland anzweifeln, aber bitte, bitte, bitte gebt endlich Vollgas bei der Digitalisierung. Ich möchte den Kindern meiner Kinder nicht mehr zeigen müssen wie man aus Zeitungspapier Schiffchen bastelt.

Semih Aridogan ist Co-Founder und CEO der Strive Data UG mit Sitz in Stuttgart. Der Fokus der Agentur liegt vor allem darauf schnell und effizient zu sein. Im „Über uns“-Bereich spricht die Firma über den Erfahrungsschatz: „Wir haben viel gesehen. Projekte die nicht in Jahren, sondern in Wochen umgesetzt wurden.“ – Genau meine Kragenweite! Ich wünsche euch viel Erfolg und freue mich darauf dich lieber Semih und deine Mitarbeiter hoffentlich sehr bald auf einer Messe zusammen mit unserer Bundesregierung kennen lernen zu dürfen ????


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